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Niederlassungen im Ausland – Amerika
JR BECHTLE & Co.
JR BECHTLE & Co. | Mai 2019 | Publications
Niederlassungen im Ausland – Amerika
Ich habe seit vielen Jahren regelmäßig die Möglichkeit im Rahmen von Seminaren in Europa (IHKs, VDMA, Spectaris, SelectUSA, ManagementCircle, amerikanische Generalkonsulate, etc.) kulturelle und geschäftliche Umstände und Regeln der USA (und immer wieder einmal auch zu Brasilien, Mexiko oder anderen südamerikanischen Märkten) darzustellen – und aufgrund von Fragen der Teilnehmer dann weiter zu beleuchten.
Eine solche Frage bezog sich auf Regeln und Gewohnheiten im Geschäftsleben – spezifisch auf die Handhabung von Urlaub und Krankentage in den USA.
Der zentralen Geschäftsleitung des Fragestellers war aufgefallen, dass der Leiter der amerikanischen Niederlassung sich die „nicht genommenen“ Krankentage auszahlen ließ. Außerdem war man verwundert, dass der Niederlassungsleiter sich offensichtlich seit längerem regelmäßig Freitagnachmittag frei nahm (wohl, wenn kein Anruf von Deutschland mehr zu erwarten war) – mit dem Argument, so seine nicht genommenen Urlaubstage abfeiern zu können.
Die an mich gerichtete Frage bezog sich weniger auf die rechtlichen oder administrativen (steuerlichen) Aspekte (also die formellen Regeln) – welche sicher mit entsprechenden Fachleuten genauer beleuchtet werden sollten – sondern mehr auf den normativen Aspekt, ob es denn für einen hoch bezahlten Chef angemessen sei, sich derart zu verhalten. Dahinter steckte letztlich die Frage: Ob dies in den USA so üblich sei? Nicht was die festgeschriebenen Regeln seien, welche man nachlesen kann, sondern welche ‚Rituale‘ (Gewohnheiten) es gibt?
Meine erste Reaktion war wohl von den langen Jahren des Aufenthaltes in den USA beeinflusst: Wie sind denn die Geschäftsergebnisse?
Allerdings war mir der Stand der Dinge bereits weitgehend klar; noch bevor man antwortete. Egal wie die (offiziellen, formellen, nachlesbaren) Regeln sein mögen, ein amerikanischer Geschäftsleiter wird üblicherweise nicht auf Urlaub bestehen, wenn die Entwicklung des Geschäftes dergleichen nicht erlaubt, noch sich scheuen ein paar Tage frei zu nehmen, so alle Ziele erreicht werden. In den USA nehmen typischerweise leitende Mitarbeiter gerade einmal 60% der ihnen formell zustehenden Urlaubstage – so eine Arbeitsunterbrechung problematisch sein könnte. Andererseits erlaubt man sich – sozusagen zum Ausgleich – hier und da ein paar Tage (oder Halb-Tage) zur Erholung, wenn gerade einmal im Geschäft alles gut läuft.
Mit anderen Worten, so sich der Niederlassungsleiter ab und zu frei nimmt, ist dies wahrscheinlich ein Zeichen dafür, dass „der Laden läuft“ und man gerade einmal etwas Luft zum Verschnaufen hat.
Meine ergänzende Frage war somit: Warum die Aufregung?
Die Antwort war deutlich: Ja, die Geschäfte laufen durchaus ordentlich – aber solch ein Verstoß gegen alle Regeln setze halt ein schlechtes Beispiel. Festgeschriebene Regeln sind einzuhalten und können nicht einfach individuell verändert werden; noch dazu zum eigenen Vorteil.
Aber was sind denn nun die Regeln – die formelle Seite? Und, in Amerika genauso wichtig (nachdem es halt nicht für alles und jedes festgeschriebene Regeln gibt), was sind die Rituale und Gewohnheiten?
Die Erklärung des Niederlassungsleiters hierzu war, wurde mir erklärt, dass er sich ganz genau an die gültigen Regeln der lokalen Einheit halte: Die Regelung für Krankentage und Urlaub waren im Handbuch der Niederlassung verbindlich festgehalten; von Regierungsbehörden vorgegebene abweichende relevante Verordnungen dazu gebe es nicht; und er sehe keinen Grund diese Firmenregeln nicht auch für sich in Anspruch zu nehmen. Chef oder nicht Chef.
Das Firmen-Handbuch war zwar vom Niederlassungsleiter selber (respektive dem Vorgänger) ausgearbeitet worden – aber das ist durchaus Teil der täglichen Aufgaben der Geschäftsleitung eines amerikanischen Unternehmens. Kein formelles Firmen-Handbuch zu besitzen ist eine Einladung für alle möglichen Probleme.
Allerdings war dieses Handbuch auch scheinbar nie formell von einem lokalen Board of Directors abgesegnet worden. Das lag aber nicht zuletzt daran, dass kein aktives Board of Directors existierte, welcher die vielen administrativen Notwendigkeiten des lokalen Marktes mit der hiesigen Geschäftsleitung koordinierte und deren Umsetzung kontrollieren konnte. Wie bei vielen Niederlassungen, gab es auch hier kein wirklich aktives Board mit externen Direktoren, welche lokale Gewohnheiten und Notwendigkeiten einbringen und erklären konnten. Mitarbeiter der Zentrale agierten stattdessen im Rahmen ihrer mehr oder weniger regelmäßigen Besuche “nebenbei” als ein nominelles Board of Directors. Ausreichend, um einem lokalen Anwalt die Möglichkeit zu geben ein Minute of Meeting zu verfassen und ins Board-Buch aufzunehmen. Nicht ausreichend, um grundsätzliche Dinge der lokalen Geschäftskultur zu verarbeiten.
Mit oder ohne Board-Genehmigung, nachdem nun aber ein formelles Handbuch existierte, stimmt es schon, dass die allgemein festgehaltenen und (hoffentlich allen Mitarbeitern bekannt gemachten) Regeln durchaus übergreifend gelten sollten. Diskriminierung von Einzelnen oder Gruppen sollte ausgeschlossen werden. Zu verlangen, dass in einer Firma bestimmte Mitarbeiter unterschiedlichen Regeln unterliegen, ist verständlicherweise problematisch.
Regeln und Rituale, Dinge welche man nachlesen kann und Dinge welche man erleben muss um sie zu verstehen, sind in Europa und Amerika nun einmal völlig unterschiedlich! Die Unterschiede sind sogar größer als zwischen Europa und vielen der weit exotischeren Gegenden der Welt.
Es gibt keine offiziell oder formell festgeschriebenen Regeln über Rechte und Handhabung von Urlaubstagen, Feiertagen, Krankheitstagen, und dergleichen, welche im ganzen Lande gültig sind!
In anderen Worten, dieser so zentrale Bereich von Arbeitsverträgen und täglichen Betriebsabläufen basiert typischerweise nicht auf nachlesbaren Regeln, sondern muss jeweils anhand von regionalen Gewohnheiten und gelebten Ritualen verstanden und organisiert werden. Dieser Gedanke ist den im europäischen Umfeld groß gewordenen und tätigen Managern der Zentrale völlig fremd. Ohne Beratung und konkrete Hilfe erfahrener Partner vor Ort wird dieser kulturelle Unterschied stets zu großen Unstimmigkeiten führen.
JR BECHTLE & Co. ist seit nunmehr 40 Jahren strategischer Partner, Ratgeber und hands-on Hilfe für amerikanische Niederlassungen europäischer Unternehmen. Unser Motto war stets mit „Rat und Tat“ unseren Partner zur Seite zu stehen. Eine rein mechanische Abwicklung von Abläufen (etwa Personalmanagement und Personalsuche) ist nicht nur unvollständig, sondern kann durchaus problematische Nebeneffekte haben.
Tat ohne Rat – tun Sie sich das nicht an!